die wiener generation

Die in den Jahren 1906-1911 von Carl Hermann photographierten Landschafts- und Städtebilder wurden auf Trockenplatten in Postkartengröße gebannt. Die Druckerei der Gebrüder Lüdeking in Hamburg erzeugten davon erstmals industriell hergestellte Ansichtskarten von und für Europa. Nach Abziehen der Schicht von der Trockenplatte konnte diese als Druckunterlage mittels Lichtdruck die monochromen Motive, also schwarzweiße, braune, blaue oder grüne Abbildungen, die färbigen Exemplare mittels Steindruck und zusätzlicher Handkolorierung entstehen lassen. Während die lithographischen Verfahren es nicht ermöglichen, gleichzeitig verschiedene dicke Farbschichten abzudrucken, und daher Halbtöne nur mittels einer Rasterstruktur nachgeahmt werden können, ist der Lichtdruck ein echtes Halbtonverfahren, dessen Erzeugnisse bis in ihre Feinstruktur an photographische Halbtonbilder mahnen. Es war eine Pionierleistung von großem Ausmaß.

carl hermann

In den Reiseerinnerungen meines Großvaters Carl Hermann Meyer steht im Prolog geschrieben: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. Dem wird er seine Wunder weisen, in Berg und Wald und Strom und Feld.“ Mein Opa war ursprünglich als Feinmechaniker ausgebildet worden, bevor er zur Photographie wechselte und für den Buchdruckerei-Faktor, wie der Leiter einer Buchdruck-Setzerei damals im Fachjargon bezeichnet wurde, also im Auftrag meines Urgroßvaters auf Reisen ging. Großvaters fanatische Ergebnisse von über 20.000 Städte und Landschaftsaufnahmen, die ihn nicht nur durch ganz Deutschland, England, Italien und in die österreichisch-ungarische Monarchie bis an das Schwarze Meer führte, ließen ihn insbesondere nach Wien kommen. Die rechte Gunst die ihm dort erwiesen wurde, war jene, das er meine Großmutter Ida Helene Braun kennenlernte und 1909 ehelichte und 1911 im 7. Wiener Gemeindebezirk, Schottenfeldgasse 62, ein "Photographisches Spezialatelier für Industrie und Kunstgewerbe" gründete.


carl hermann otto

Der Chemograph Amandus Otto Friedrich Meyer, mein Onkel und Taufpate, folgte seinem Bruder und meinem Großvater zur Gründung des "Photographischen Spezialatelier für Industrie und Kunstgewerbe" und als Teilhaber nicht nur nach Wien, sondern auch mit der Heirat einer Wienerin. Leider blieb diese Lebensgemeinschaft mit Mitzi Moznik kinderlos. Sie stellten die ersten Brüder im Medien-Clan der diversen Meyer Generationen, einer Doppelbelegung, die sich derart gestaltet noch zwei weitere nachfolgende Generationen manifestieren sollte. Großvaters Arbeit in jenem Betrieb vor einem Jahrhundert ging von Anfang einen bestimmten Weg zur Industrie, Technik und Architektur. Er gehörte neben den Wiener Kollegen Bimberg, Gerlach, den Gebrüdern Frankenstein und Reiffenstein zu den ersten der Branche, welche der Photographie neben der üblichen Portraitaufnahme ein neues Aufgabengebiet sicherten. Das bedeutete ein großes Wagnis in dieser Zeit, Mut zum Risiko.